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Die Lebenssituation junger Erwachsener mit Krebs

 

Autorin:

Dr. rer. med. Dipl.-Psych. Kristina Geue, Systemische Therapeutin/Familientherapeutin, Universitätsklinikum Leipzig – AöR, Department für Psychische Gesundheit, Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie

 

Dieser Beitrag möchte Ihnen einen Einblick in die Lebenssituation von Krebspatienten im jungen Erwachsenenalter vermitteln und für die spezifischen Problemlagen und Bedürfnisse dieser Patientengruppe sensibilisieren.

 

Fakten und Zahlen

 

An Krebs erkranken hauptsächlich Menschen im höheren Erwachsenenalter. Jedoch werden in Deutschland jährlich auch etwa 15.000 junge Menschen zwischen 15 und 39 Jahren mit dieser Diagnose konfrontiert [1]. Da eine Krebserkrankung in dieser Lebensphase nicht vorhersehbar ist und eher selten auftritt, stellt dies die Betroffenen vor umso größere Herausforderungen [2]. Junge Frauen erkranken vor allem an Brustkrebs, hingegen erhalten Männer häufig die Diagnose Hodentumor. Außerdem sind Hautkrebs und hämato-onkologische Erkrankungen in dieser Altersgruppe oft vertreten [3]. Andere typische Diagnosen wie Prostata-, Vulva- oder Darmkrebs treten im jungen Erwachsenenalter selten oder gar nicht auf. Die medizinischen Behandlungen richten sich ebenso wie bei älteren Patienten nach der histo- bzw. zytologischen Diagnose, dem Erkrankungsstadium, biologischen Risikofaktoren und sollten leitliniengerecht erfolgen. Die Heilungschancen der jungen Erwachsenen sind überdurchschnittlich gut. Die 10-Jahres-Gesamtüberlebensrate der 20- bis 39-Jährigen liegt bei etwa 80 % [4], stagniert jedoch seit über zwei Jahrzehnten. Erwähnt werden sollte, dass etwa jeder zehnte junge Patient eine Zweiterkrankung im späteren Leben entwickelt [5].

 

Aufgrund der hohen Überlebensraten steigt die Zahl der jungen Langzeitüberlebenden stetig an. Junge Erwachsene, die an Krebs erkranken, müssen einerseits mit der existenziellen Bedrohung des Tumors umgehen und auf der anderen Seite trotz allem Hoffnung und einen positiven Lebenswillen behalten bzw. wieder neu entwickeln [6]. Für die Betroffenen selbst bedeutet dies, mit der Erkrankung und deren möglichen körperlichen, sozialen und psychischen Folgen leben lernen zu müssen. Das eigene Lebenskonzept muss überdacht, angepasst und ggf. neu entworfen werden.

 

Die Lebensphase des jungen Erwachsenenalters

 

Im jungen Erwachsenenalter stehen viele Entwicklungsaufgaben an. Zu nennen ist hierbei die Reifung der Persönlichkeit und eigenen Identität. Hierzu gehört vor allem die Lösung vom Elternhaus, die Wahl des Berufes und die damit verbundene finanzielle Unabhängigkeit, die Bildung und Festigung enger freundschaftlicher Kontakte sowie das Eingehen einer festen Partnerschaft und Familienplanung bzw. Familiengründung [7, 8]. Die erfolgreiche Bewältigung dieser Entwicklungsaufgaben führt zu Zufriedenheit.

 

Kommt nun in dieser altersbedingt per se komplexen psychosozialen Lebensphase eine Krebserkrankung hinzu, müssen die Betroffenen die Bewältigung anstehender Entwicklungsaufgaben zurückstellen, um erst einmal ihr Überleben zu sichern.

 

Infolgedessen sind die jungen Patienten oftmals wieder auf die Hilfe und Unterstützung ihrer Eltern angewiesen, Beruf bzw. Ausbildung müssen unterbrochen werden, freundschaftliche Kontakte und partnerschaftliche Beziehungen werden erschwert, die Familienplanung muss zurückgestellt werden und die Betreuung, Erziehung bzw. Pflege bereits vorhandener Kinder ist nur eingeschränkt möglich [9]. Demzufolge ist nachvollziehbar, dass junge Erwachsene aufgrund ihrer Lebens- und Entwicklungsphase andere Belastungsthemen und Bedürfnisse haben als ältere Menschen oder Kinder. Auf diese wird nachfolgend näher eingegangen.

 

Spezifische Belastungen

 

Egal ob jung oder alt, Menschen, die mit der Diagnose Krebs konfrontiert werden, erleben einen existenziellen und emotionalen Ausnahmezustand. Ähnlich wie andere traumatische Ereignisse, wird eine Krebserkrankung von Gefühlen der Hilflosigkeit und Ohnmacht begleitet. Junge Erwachsene mit Krebs leiden ebenso wie ältere Betroffene an den möglichen körperlichen und seelischen Begleiterscheinungen wie z. B. Haarausfall, Übelkeit, Schwäche und auch Depression und Ängste als Folgen einer Krebserkrankung. Darüber hinaus ergeben sich weitere Belastungsthemen, die wir auch in einem kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekt der Deutschen Krebshilfe e.V. [10] identifizieren konnten.

 

Kinderwunsch und Familienplanung

 

Die Behandlungen einer Krebserkrankung in Form von Operationen, Chemo- und Strahlentherapien gehen häufig mit Einschränkungen der Fruchtbarkeit bis hin zur Unfruchtbarkeit einher [11, 12]. Junge Krebspatienten haben oftmals (33 bis 78%) die Familienplanung zum Zeitpunkt der Diagnose noch nicht abgeschlossen [13, 16]. Besonders hoch ist der Kinderwunsch bei kinderlosen Patienten ausgeprägt [14, 17]. Der drohende Verlust der Fruchtbarkeit kann die Lebensqualität und das psychische Befinden maßgeblich beeinflussen. Teilweise wird die Unfruchtbarkeit belastender als die Krebserkrankung selbst erlebt [18]. Die Unfruchtbarkeit stellt über die Kinderlosigkeit hinaus den eigenen Selbstwert, das eigene Körperbild und die Sexualität infrage [19].

 

Für den Erhalt der Fruchtbarkeit stehen inzwischen sowohl für Männer als auch Frauen entsprechende Maßnahmen bereit [20, 21]. Für die Männer ist die Spermakryokonservierung ein etabliertes Verfahren; bei den Frauen wird das Einfrieren von Eizellen sowie die Entnahme von Eierstockgewebe angewandt [22]. Nichtsdestotrotz ist für den weiblichen Fruchtbarkeitserhalt der zeitliche und medizinische Aufwand höher als bei den Männern. In Deutschland gründete sich 2006 das Netzwerk Fertiprotekt mit mittlerweile über 100 reproduktionsmedizinischen Zentren (größtenteils universitär), die krebskranke Frauen und Männer beraten und fruchtbarkeitserhaltende Maßnahmen durchführen. Obgleich der Fertilitätserhalt keinerlei Sicherheit bezüglich der Erfüllung des Kinderwunsches bietet, gibt es den Betroffenen doch die Gewissheit, alle Möglichkeiten genutzt zu haben. Dies kann die Verarbeitung des unerfüllten Kinderwunsches erleichtern [19].

 

 

 

Die Thematisierung des Kinderwunsches bei jungen Patienten ist vor Einleitung der onkologischen Behandlung unerlässlich, um mögliche fruchtbarkeitserhaltende Maßnahmen durchführen zu können. Außer Frage steht, dass es bezüglich der Aufklärung noch erheblichen Verbesserungsbedarf gibt. Eine flächendeckende Aufklärung sowie eine professionelle Beratung durch Reproduktionsmediziner helfen den Patienten, Unsicherheiten abzubauen, ihre Krankheit und deren Folgen besser zu verstehen und damit eine gemeinsame Entscheidungsfindung bezüglich des Fruchtbarkeitserhaltes zu ermöglichen.

 

„Man hat mich weder gefragt, ob ich noch Kinder möchte, noch dass die Möglichkeit vom Einfrieren von Eizellen und was weiß ich, was für Techniken besteht - davon hat mich keiner in Kenntnis gesetzt.“ (Patientin, 29 Jahre)

 

Berufliche und finanzielle Situation

 

Der berufliche Wiedereinstieg ist für viele Krebspatienten ein Symbol der Genesung [23]. Im Gegensatz zum durchschnittlich älteren Krebspatienten stehen junge Betroffene meist noch am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn und haben noch ein langes Arbeitsleben vor sich.

 

Bislang gibt es nur wenige Studien, die sich speziell mit der beruflichen Situation von jungen Krebspatienten beschäftigt haben. Die Ergebnisse zeigen, dass ein nicht unerheblicher Teil der jungen Betroffenen aufgrund der Krebserkrankung von ihrem ursprünglichen Beruf bzw. Berufswunsch absehen und sich neu orientieren muss [24]. Der berufliche Wiedereinstieg gelingt etwa drei Viertel der Patienten [25, 26]. Bei zufriedenen wiedereingegliederten Befragten wurde ein hohes Maß an Flexibilität des Arbeitgebers und/oder dem Durchlaufen einer stufenweisen Wiedereingliederungsmaßnahme ersichtlich. Etwa jeder dritte junge Patient glaubt, die Krebserkrankung habe einen negativen Einfluss auf seine Karrierepläne und Finanzen [25].

 

Auch haben junge Patienten mit Symptomen wie Vergesslichkeit, Konzentrationsproblemen und körperlichen Einschränkungen zu kämpfen, die es erschweren, den beruflichen Anforderungen gerecht zu werden. Eine Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit ist oftmals die Folge. Einhergehend damit sind finanzielle Probleme, die ebenso durch die krankheitsbedingten Fehlzeiten und Kosten (z.B. Fruchtbarkeitserhalt) sowie die Wiedereingliederung entstehen können und nicht außer Acht gelassen werden dürfen [27]. Junge Menschen haben sich meistens noch keine eigenen finanziellen Rücklagen schaffen können, so dass finanzielle Ausfälle sie umso härter treffen und auch (wieder) zu finanziellen Abhängigkeiten z.B. zu den Eltern führen können.

 

Vor dem Hintergrund, dass die jungen Erwachsenen noch einen Großteil ihres Berufslebens vor sich haben und zu den produktivsten Mitgliedern der Gesellschaft gehören [28], sollten Interventionen zur Förderung der Arbeitswiederaufnahme bzw. beruflichen Umorientierung langfristig angeboten werden. Einen ersten Anlaufpunkt bietet das seit kurzem online etablierte „Junge Krebsportal“ der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Die Diskrepanz zwischen Arbeitsmotivation der Betroffenen und der tatsächlichen Rückkehr zeigt klaren Handlungsbedarf bezüglich der beruflichen (Re-) Integration von Krebspatienten im jungen Erwachsenenalter an.

 

„Also ich weiß eigentlich, dass ich das nicht mehr kann, was ich vorher gemacht habe. Also wie ich es vorher gemacht habe […] meine Ärztin denkt, dass ich vielleicht noch eine Drei-Tage-Woche machen kann. Also so achtzehn Stunden in der Woche“ (Patientin, 32 Jahre)

 

Soziales Umfeld und Unterstützung

 

Unter sozialer Unterstützung ist das Gefühl zu verstehen, zu einem sozialen Netzwerk zu gehören und umsorgt, geliebt und anerkannt zu sein [29]. Die soziale Unterstützung durch Familie, Freunde und medizinisches Fachpersonal gilt als eine wesentliche Ressource für junge Krebspatienten, um die Krankheitserfahrungen in das eigene Leben zu integrieren [30, 31]. Während bei älteren Erwachsenen im Normalfall der Partner als wichtigste Quelle der Unterstützung angegeben wird [32], ist für Jugendliche die Unterstützung von Freunden und Familie besonders wichtig [33, 34]. Die jungen Betroffenen haben oftmals aufgrund der geringeren Lebenserfahrung keine eigenen ausreichenden Copingstrategien entwickeln können, so dass das soziale Umfeld eine größere Rolle bei der Krankheitsverarbeitung im Vergleich zu älteren Krebspatienten spielt. Leider hat sich gezeigt, dass ein Teil der jungen Patienten auch Erfahrungen mit nicht-hilfreicher sozialer Unterstützung, meist durch Freunde, macht [35]. Ein Großteil nicht-hilfreicher Unterstützung resultiert daraus, dass Freunde im Verlauf der Krebserkrankung den Kontakt reduzieren oder abbrechen.

 

So weist eine Studie darauf hin, dass junge Erwachsene, die eine Krebserkrankung überlebt haben, im Vergleich zu gesunden Gleichaltrigen weniger Freundschaften und Partnerschaften haben. Der Austausch mit anderen gleichaltrigen Betroffenen hat das Potenzial, das Gefühl der sozialen Isolation zu verringern [36]. Mit dieser Lebenssituation nicht alleine zu sein, ist ebenso ein wichtiger Beweggrund für den Austausch mit anderen gleichaltrigen Betroffenen [37].

 

In der klinischen Praxis sollte das Bewusstsein bei allen Berufsgruppen, die mit Krebspatienten im jungen Erwachsenenalter arbeiten, dafür geschärft werden, dass die Anwesenheit und Liebe von Familie, Freunden, Partnern und ebenso gleichaltrigen Betroffenen eine zentrale Rolle für die Krankheitsverarbeitung spielt. Wünschenswert wäre, dass zeitliche, räumliche und finanzielle Barrieren für Angehörige minimiert werden [35].

 

„Als junger Mensch mit Krebs fällt man da ein Stück weit aus der normalen Welt raus und kommt auch nicht wieder rein. Man wird zum Fremden, aber ist auch nach Abschluss der Behandlungen kein Staatsbürger mehr im Cancerland. Das kann sehr einsam machen.“ (Patientin, 33 Jahre)

 

Unterstützungsbedarf und psychosoziale Versorgungssituation

 

Es besteht Einigkeit darüber, dass junge Erwachsene mit Krebs aufgrund der aufgezeigten Besonderheiten altersspezifische medizinische und psychosoziale Informationen und Beratung über ihre Erkrankung, Prognose, Behandlung, Nebenwirkungen und Spätfolgen wünschen und benötigen. Ein Großteil der Betroffenen berichtet bislang, dass ihren Unterstützungs- bzw. Beratungsbedürfnissen nicht angemessen oder gar nicht entsprochen wurde [38].

 

Bezüglich der psychosozialen Versorgung junger Krebspatienten in Deutschland kann festgestellt werden, dass es in allen medizinischen Bereichen (Akut-, Rehabilitations- und Nachsorgephase) noch großen Handlungsbedarf gibt.

 

Erste Bestrebungen, sich der besonderen Situation dieser Patientengruppe anzunehmen, sind jedoch zu verzeichnen [5]. So wurde im Jahr 2011 erstmals eine Leitlinie mit Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie hämatologischer und onkologischer Erkrankungen für „Heranwachsende und junge Erwachsene“ durch die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie erstellt und 2016 überarbeitet [1]. 2014 gründete sich die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs mit dem Ziel, die Therapiemöglichkeiten und Versorgungssituation zu verbessern. Im Bereich der Rehabilitation gibt es bundesweit eine Handvoll Kliniken, die sich auf die Bedürfnisse Jugendlicher und junger Erwachsener Krebspatienten spezialisiert haben [1]. Evaluierte Interventionsangebote im Bereich der ambulanten Nachsorge fehlen bislang gänzlich [6].

 

Schlussfolgerung

 

Eine Krebserkrankung im jungen Erwachsenenalter kann mit erheblichen Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche einhergehen. Die spezifischen Problemlagen – Kinderwunsch, Beruf und Finanzen, soziales Umfeld – müssen kurz- und langfristig in der Versorgung der jungen Betroffenen besondere Beachtung finden.

 

(Die zitierte Literatur ist bei der Autorin erhältlich.)

 

Weitere Informationen:

Dr. rer. med. Dipl.-Psych. Kristina Geue

Systemische Therapeutin/Familientherapeutin

Universitätsklinikum Leipzig - AöR, Department für Psychische Gesundheit, Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie

Philipp-Rosenthal-Str. 55, 04103 Leipzig,

Tel. 0341/9715438, Fax. 0341/9718809

Kristina.geue@medizin.uni-leipzig.de

www.aya-le.de – Forschungsprojekt AYA-Junge Erwachsene mit Krebs

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